DER GOTTORFER GLOBUS UND DIE SPHAERA COPERNICANA VOR DEM WELTBILD IHRER ZEIT
Auf seiner Außenseite repräsentierte der Gottorfer Globus die seinerzeit bekannte Welt – in staunenswerten Dimensionen, verzerrungsfrei und in der Genauigkeit und Feinheit gedruckter Landkarten (Maßstab 1 : 2.048.624). Dabei griff man bei den Vorbildern auf das neueste Karten- bzw. Globenmaterial zurück. Dies kam von dem renommierten Amsterdamer Karten- und Globenverlag von Willem Jansz. und Joan Blaeu, zu dem Adam Olearius gute Beziehungen besaß. Olearius selbst korrigierte die Eintragungen der Kartographen und brachte auch seine eigenen Erkenntnisse zur Anwendung; insbesondere die von ihm selbst vorgenommene Kartographierung des Wolgalaufes anlässlich der Gottorfer Handelsexpedition nach Isfahan 1633.
In seinem Inneren stellt der Globus ein mechanisches Modell des Weltsystems nach Ptolemäus (um 140 n. Chr.) dar, bei welchem die Erde als Mittelpunkt des Universums ruht und sich der Sternenhimmel um die Erde dreht. Die Wahl des antiken Weltbildes gründet sich freilich nur in dem Wunsch, den Lauf des Sternenhimmels, so wie er vom Standort Gottorf zu sehen ist, künstlich darzustellen (moderne Projektionsplanetarien arbeiten auch heute noch nach demselben Prinzip). Die Bestände an astronomischer Literatur in der Gottorfer Hofbibliothek, Inschriften und nicht zuletzt der Bau der Sphaera Copernicana belegen eindeutig, daß sich Herzog Friedrich III., Adam Olearius und auch Andreas Bösch über die wahren Verhältnisse im Sonnensystem im Klaren waren. Ihre Bewunderung galt dem ermländischen Domherrn Nicolaus Copernicus (1473 – 1543), der mit seiner 1543 veröffentlichten Schrift "De revolutionibus orbium coelestium" die Grundzüge des heliozentrischen Weltbildes festgelegt hatte und dem dänischen Astronomen Tycho Brahe (1546 – 1601), dessen Beobachtungskunst die Daten lieferte, die das geozentrische Weltbild zum Einsturz brachten.
Der Globus zeigte in seinem Inneren die tägliche (scheinbare) Himmelsdrehung von Ost nach West, den täglichen (scheinbaren) Sonnenlauf von Ost nach West und die jährliche (scheinbare) Sonnenwanderung entlang der Ekliptik von West nach Ost. Anhand der Kalenderindikationen, der Daten zum Sonnenstand, der Meridianskala und der ‚Weltzeituhr’ ließ sich das astronomische Geschehen überprüfen und verfolgen. Dabei zählten die Indikationen zum julianischen Kalender nur die Heiligentage auf, während die Daten zum Sonnenlauf mit dem gregorianischen Kalender korrespondieren. Obwohl der veraltete julianische Kalender in den protestantischen Ländern noch gültig war, hatte man auf Gottorf die Zeichen der Zeit erkannt und verband die astronomischen Fakten mit der besseren ‚papistischen’ Zeitrechnung. Auffällig ist auch, daß sowohl an der Sphaera Copernicana, als auch am Globus astrologische Indikationen bereits vollständig fehlen, was zeigt, daß auch die Sterndeutung am Hofe nur noch von untergeordnetem Interesse war. Der Planetenlauf mit seinen periodischen Oppositionsschleifen und der Mondlauf mit seiner komplizierten Wanderung der Knotenpunkte ließen sich nicht mechanisch umsetzen, weshalb sie am Globushimmel fehlen. Immerhin ließen sich anhand von Ephemeriden und des Gradnetzes am Himmelsgewölbe die aktuellen Positionen dieser Himmelskörper auffinden und verfolgen.
Die Sphaera Copernicana stellt das kosmologische Gegenstück des Riesenglobus dar. Sie besitzt die Funktion eines lehrreichen Planetariums, das man allerdings nicht betreten kann. Der Betrachter schaut demiurgenhaft von außen auf ein mechanisches Sonnensystem, das alle seinerzeit bekannten Bewegungen im Weltall vollführt. Hierbei ist bemerkenswert, daß die Bahnringe der Planeten bereits exzentrisch angeordnet sind. Dadurch nahm man Bezug auf den seinerzeit neuesten Wissensstand: der kaiserliche Hofmathematiker Johannes Kepler (1571 – 1630) hatte 1609 erkannt, daß alle Planeten auf Ellipsenbahnen um die Sonne laufen. Aus technischen Gründen ließ sich die mechanische Darstellung der Ellipsenbahnen nur in Form exzentrischer Kreise umsetzen; gleichwohl belegt ihre Aufnahme in das technische Konzept einen überraschend modernen Kenntnisstand. Daß man die Planeten (mit Ausnahme von Erde und Mond) noch durch allegorische Figuren und nicht durch Modelle darstellte, liegt daran, daß 1657 die Fernrohre noch nicht vollkommen waren und über die wahren Gestalten der Planeten große Unsicherheit herrschte.
Die Miniaturdarstellung des ptolemäischen Weltbildes auf der Sphaera Copernicana war nur noch eine ‚Zugabe zwecks Vollständigkeit’ – und eine kleine Verbeugung vor dem Riesenglobus. Sie läßt sich wegen ihrer Kleinheit und Lage im Grunde nur von einer Leiter aus richtig betrachten. Das antike Weltsystem sollte offenbar dem Auge des gelehrten Betrachters entrückt werden: die kopernikanische Lehre wurde als gültig anerkannt, das alte Weltbild war abgetan.
Neben der Bewunderung, die der heutige Betrachter den beiden Gottorfer Globen zollen muß, stellt sich bald die Frage nach ihrem Sinn und Zweck. Die Bedeutung beider Werke lag nicht auf praktischen Gebieten, da sie keine Voraussetzungen besaßen, die sie etwa als wissenschaftliche Geräte geeignet gemacht hätten. Weder ließen sie sich etwa in der Art verläßlicher Erd- oder Himmelsgloben benutzen, noch als analoge Recheninstrumente oder gar als präzise Zeitmesser. Für diese Zwecke waren sie in jeder Hinsicht zu schwerfällig und ungenau. Sie ließen sich lediglich mit Hilfe ihrer Handantriebe in lehrreiche Planetarien zu verwandeln. Der große Globus und die Sphaera Copernicana müssen - damals wie heute - im Zusammenhang miteinander und mit dem Geist der Zeit gesehen werden, um verstehen zu können, welchen Sinn und Zweck sie erfüllen sollten.
Gemeinsam verkörperten beide Werke Welt, Weltverständnis und das Universum ihrer Zeit. In noch nie dagewesenen Dimensionen demonstrierten sie die geistige und wissenschaftliche Unterwerfung der Welt - und die Weltkenntnis ihres Besitzers. Dies bedeutete aber nicht allein die mechanische Nachahmung von Himmel und Erde, sondern auch eine sinnreiche Einbindung in übergeordnete Zusammenhänge, die seinerzeit für die Sicht der Welt im Großen und Kleinen noch selbstverständlich waren. Der große Globus unterwarf den Neuwerkgarten gewissermaßen einem kosmologischen Bezug, indem er einen weiten Bogen vom Makrokosmos des Universums zum Mikrokosmos der Pflanzen im Garten spannte. Die Sphaera Copernicana war untrennbar mit der Gottorfer Bibliothek und der Kunstkammer verbunden: Stätten der Gelehrsamkeit und Präsentation einer von Gott sinnvoll geordneten und regierten Welt zugleich.
Beide Globen verband die gemeinsame Aufgabe, astronomische Fundamentalfragen zu vermitteln - wobei der Riesenglobus den besonderen Reiz besaß, daß man in ihm platznehmen und am Himmelsgeschehen teilnehmen konnte. Dies war bei der Sphaera Copernicana nicht mehr möglich: ihr Gesamtkonzept eines in sich geschlossenen Messing-Universums verwehrte dem Betrachter zwar nicht den Einblick, wohl aber die Teilnahme an ihren Bewegungsabläufen. Dafür zeigte sie die Himmelsbewegungen so, wie sie realiter im Weltall ablaufen. Im Globus sah man also, was am Himmel geschah, an der Sphaera Copernicana konnte man erkennen, wie die Bewegungen zustande kamen - und zwar nicht allein bei Sonne und Erde, sondern auch bei allen anderen damals bekannten Himmelskörpern.
Hier liegt die andere Bedeutung der Gottorfer Globen: sie verkörpern in ihrer Gesamtheit eine mechanische Darstellung alles astronomischen Wissens ihrer Zeit. In diesem Sinne trugen sie ihren Zweck in sich selbst, und der lag in dem wortwörtlichen Begreifen und Verstehen des Himmelsgeschehens sowie in der tiefen Befriedigung, dieses alles nunmehr bis in die letzten Einzelheiten und nach allen Regeln der mechanischen Kunst darstellen zu können. So dokumentieren beide, der große Globus und die Sphaera Copernicana, heute in beeindruckender Weise nicht allein die hohe Fertigkeit Gottorfer Uhrmacher- und Mechanikerkunst, sondern auch das breite Wissensspektrum, über welches man zur Zeit Herzog Friedrichs III. am Hofe verfügte.
[Photo: A. Lühning, Zeichnung: Verfasser]